Dokumentation: Tagung „Ein intergenerationelles Gespräch zum Thema Tirol im Herzen Europas, ein Vorbild für alle europäischen Grenzregionen?“ vom 12.09. – 14.09.2014 in Telfs

Telfs 2014

v. links nach rechts: Die Moderatoren der Veranstaltung Dr. Hans Nieuwenhuis, Anja van Berkum und Dr. Alexandra Beirer, Mag. Matthias Fink Generalsekretär der EUREGIO. Foto: IAEP

Zu dieser Dokumentation:
In Telfs hat von FR 12.09. bis SO 14.09.2014 in einer gemütlichen Stube im Gasthof Lehen eine Tagung mit dem Schwerpunkt: „Ein intergenerationelles Gespräch zum Thema Tirol im Herzen Europas, ein Vorbild für alle europäischen Grenzregionen?“ stattgefunden. Im Bild von links nach rechts die Moderatoren Hans Nieuwenhuis, Anja van Berkum und Alexandra Beirer mit Gast Matthias Fink.
Für mehr Informationen: Veranstaltungsprogramm (PDF) und Veranstaltungsunterlagen (PDF).

Die Veranstaltung selbst wird von allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern als Erfolg gesehen, aufgrund der geführten und durchaus spannenden Diskussionen. Daher ist die nächste Veranstaltung in Südtirol geplant. Bedauerlicherweise konnte Michael Forcher – trotz vorheriger fixer Zusage – nicht an der Veranstaltung teilnehmen. Aber Matthias Fink konnte den Teil von Michael Forcher bedingt übernehmen.

Telfs 2014 Für die musikalische Unterhaltung am Freitag sorgte Peter, der es verstand, uns mit seinen gespielten Stücken in den Bann zu ziehen. Jeder wippte im Takt und summte bzw. sang zu seinen Melodien. Diese heitere Stimmung förderte die Diskussionsbereitschaft aller Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Jeder hatte etwas zu sagen und alle kamen zu Wort. Gegen 21:00 Uhr wurde die Veranstaltung beendet, um diese am Samstag um 09:00 Uhr mit unserem Gast Matthias Fink, Generalsekretär des EVTZ Europaregion Tirol-Südtirol-Trentino, fortzusetzen.

Telfs 2014Matthias Fink hielt einen ausgezeichneten Vortrag, der für alle sehr informativ und aufschlussreich war. Diskussionen und Vortrag wechselten einander ab, sodass es keinen langen Monolog des Vortragenden gab und die Aufmerksamkeit bei allen Teilnehmenden aufrecht blieb. Bei der Antwort auf die Frage: „Wie ist es so weit gekommen, dass Tirol und Südtirol durch eine Grenze getrennt sind?“ geht er zum einen auf die großen gesellschaftlichen Umbrüche im 19. Jahrhundert, die mit der Industrialisierung, dem aufstrebenden Bürgertum und dem entstehenden Nationalismus mit all den Spannungen auch innerhalb der Habsburgermonarchie und des Kronlandes Tirol ein. Zum anderen zeigte er die Funktionsweisen der Bündnissysteme auf, die zur Ausbreitung des regional gedachten Konfliktes auf einen Ersten Weltkrieg (1914-1918) hinführten, dessen Ausgang mit dem Vertrag von Saint Germain (September 1919) die Teilung Tirols besiegelt hat.
Für mehr Informationen: Abriss-Geschichte-Tirol-Suedtirol-Trentino-Bildband-Ceolan (PDF).

Zur heutigen Zusammenarbeit zwischen Tirol, Südtirol und Trentino, sagte uns Matthias Fink, „dass die Geschichte der Südtirol-Autonomie 1945 begann. Dies ist der Prozess, der letztlich auch unsere Zusammenarbeit in der Europaregion zugrunde liegt. Zur Zwischenkriegszeit, die in Südtirol bestens erforscht ist, haben wir festgestellt, dass gegebenenfalls noch hinterfragt werden könnte, wie das offizielle Tirol und Österreich zwischen 1920 und 1938 mit der Südtirolfrage umgegangen ist.“ Diese für uns unerwartete Mitteilung bezüglich der Südtirolfrage hat uns alle überrascht, da wir davon ausgegangen sind, dass alles bereits erforscht wurde. Die territoriale Zusammenarbeit zwischen Tirol, Südtirol und Trentino spiegelt sich in zahlreichen Projekten wieder, wie z. B. dem zweisprachigen (Deutsch / Italienisch) Geschichtsbuch „Tirol Südtirol Trentino. Ein historischer Überblick“ oder die „Euregio-Landkarte“.
Für mehr Informationen: Territoriale Zusammenarbeit der EVTZ_Europaregion Tirol – Südtirol – Trentino_2012 (PDF) und Euregio-Präsentation 2014 (PDF).
Für mehr Information zur EUREGIO:  www.europaregion.info

Am Nachmittag erzählte uns Anja van Berkum von ihrer Arbeit zum Thema „Über die Grenze hinweg. Eine Erfolgsgeschichte. Wie aus einer Gruppe deutsch-niederländischer Seniorenstudierenden, durch den Krieg gezeichnet, u. a. ein Arbeitskreis entstand, der die Folgen dieser Kriegszeit erforscht“. In ihrer Einführung reflektierte Anja van Berkum ihre eigene Lebensgeschichte und sagte: „Ich liebte alles, was über die Grenze hinweg ging.“ 1992 übernahm sie die internationalen Kontakte, u. a. die Organisation eines Tages im Jahr für Seniorenstudierende aus Groningen und Oldenburg, eine Universitätsstadt, etwa 150 km von Groningen entfernt, Richtung Bremen. Dort bot sich ihr die Möglichkeit gemeinsam mit einer Kollegin ein Kriegsseminar zu organisieren, mit folgenden Fragestellungen: Wo waren Sie am 10. Mai 1940? Gab es deutsche Seminarteilnehmer, die damals, im Krieg also, in den Niederlanden gewesen sind? Sie berichtete uns einerseits, wie emotional und anstrengend das Kriegsseminar war, und andererseits, welche positiven Rückmeldungen sie von den Teilnehmenden erhalten hatte. Es folgten noch zwei weitere grenzüberschreitende Seminare mit den Themenschwerpunkten: Über das Abbauen von Vorurteilen (Was halten wir von einander?) und über Europa (Wie sieht die Zukunft aus?) zusammen mit der mittleren und der jüngeren Generation. Basierend auf diesen Aktivitäten entstand die Seminarreihe (in deutscher Sprache) „Grenzkontakte. Was uns verbindet, was uns trennt“. Diese grenzüberschreitende Zusammenarbeit spiegelt sich nicht nur in den Seminarreihen wieder, sondern in mehreren gemeinsamen Aktivitäten, wie den Exkursionen im Grenzgebiet, einem Lesekreis und einem Archivprojekt. Auf die Frage: „Ist unsere Zusammenarbeit ein Beispiel für Europa?“ antwortet sie mit einem JA!
Für mehr Informationen: Über die Grenze, eine Erfolgsgeschichte 2014 (PDF).

Im Anschluss wurden die vier Reflexionsfragen behandelt. Wenn wir darüber nachdenken, wie wir die Fragen beantworten können, dann hat das unweigerlich mit Denkprozessen zu tun: „In das, was Denken heißt, gelangen wir, wenn wir selbst denken. Damit ein solcher Versuch glückt, müssen wir bereit sein, das Denken zu lernen. …Das Denken lernen wir, indem wir auf das achten, was es zu bedenken gibt“(Martin Heidegger (1992): Was heißt Denken?, Stuttgart, Reclam, S. 3-4). Auf diese vier Reflexionsfragen gibt es keine richtigen/ falschen Antworten, da wir alle unterschiedlich geprägt sind, sind die Antworten vielfältig. Diese Vielfalt beruht sehr stark auf den individuellen Erfahrungshorizonten gepaart mit den persönlich erlebten Sozialisationsprozessen, wie Tradierungen während der vergangenen und gegenwärtigen Lebenszeit mit Blick auf die Zukunft. Daher beschränken sich die pointierten Antworten auf die sich in der Diskussion herauskristallisierten Gemeinsamkeiten.

1. Was sind Ihre Ideen in Bezug auf Ihre Grenzregion, auch in Relation mit Europa?
Übereinstimmung herrscht, dass Europa an den Grenzregionen sichtbar gelebt wird. Wie z.B. die territoriale Zusammenarbeit zwischen Tirol, Südtirol und Trentino. Wir gehen sogar soweit zu sagen, dass es ohne Grenzregionen kein Europa gibt!

2. Wie wichtig ist Kultur und Sprache und lassen sich persönliche
wie europäische Identitäten vereinen?
Kultur und Sprache sind unseres Erachtens sehr wichtig für die weitere Entwicklung des europäischen Gedankens. Wir befürworten, dass die Regionen (Länder) zumindest an den Grenzen zur Nachbarregion (zum Nachbarland), die jeweilige Sprache des Nachbarn spricht, zum Zwecke der besseren Verständigung. Alle Europäer profitieren von der Vielfalt der Kulturen und Sprachen (Muttersprache, Dialekte, Fremdsprache). Ja, es lassen sich persönliche wie europäische Identitäten vereinen. Eine Begründung hierfür ist die Offenheit und Freundlichkeit anderen Europäern gegenüber. Kommt es jedoch zu Ungerechtigkeiten – wie zum Beispiel in der Verteilung von Sozialleistungen gegenüber der eigenen Bevölkerung oder den Nachbarregionen, die unterstützt werden – dann kann sich diese Offenheit und Freundlichkeit ins Gegenteil verkehren. Dafür reicht ein einziges Beispiel aus, das in der Region sehr schnell die Runde macht und zur Unzufriedenheit führt. Neid, Hass, Missgunst, Eifersucht, Machtgefälle und Ungerechtigkeiten sind Gift für ein gemeinsames Europa und schüren nationalsozialistische Gedanken. Wohin dies führt, hat uns die Geschichte (Holocaust) gelehrt.

3. Was sind Ihre Ideen über eventuelle Eigenstaatlichkeit dieser Region z. B. „Los von Rom!“?
Herrschen und beherrscht werden haben unseres Erachtens im 21. Jahrhundert ausgedient. Eigenverantwortung und Eigenstaatlichkeit rücken in den Vordergrund. Regionen greifen immer mehr auf ihre eigenen Ressourcen (z.B. heimische Produkte) und Möglichkeiten (z.B. EVTZ Europaregion Tirol-Südtirol-Trentino) zurück.

4. Wie kann im Kontext Europas die regionale Politik agieren? (Vgl. hierzu den Volksentscheid in der Schweiz bezogen auf die Zuwanderung oder die Ereignisse in der Ukraine oder der neue Ministerpräsident Italiens Matteo Renzi).

Zum einen soll die regionale Politik auf eine Harmonisierung des Sozialsystems achtet und auf die „gerechte“ Verteilung. Zum anderen soll politisches Agieren (z.B. Lobbyismus) keine Ungerechtigkeiten hervorrufen.